Fit im Vorübergehen: Wie Bewegung im Alltag das Training ergänzt
Autor: Christof Domenig
Alltagswege per Muskelkraft zurücklegen, die Treppe statt den Lift benutzen oder auf einem Bein Zähneputzen. In Zeiten, in denen oft der Zeitmangel den Alltag diktiert, stellt sich die Frage: Wie weit kann Bewegung im Alltag „richtiges“ Training ergänzen oder gar ersetzen?
Kabarettist Alf Poier, in seiner Jugend scherzfrei ein sehr guter Bergläufer, hat es einmal so ausgedrückt: „Schräg ist für mich, mit dem Auto ins Fitnessstudio zu fahren, dort am Stand Rad zu fahren und zu schauen, wie weit man fahren würde, wenn man fahren würde und danach mit dem Auto wieder heim zu fahren.“ Sport oder einfacher: Bewegung möglichst in den Alltag zu integrieren, das empfehlen ja auch Mediziner. Viele Strecken per Muskelkraft, zu Fuß oder mit dem Rad zurückzulegen, die Treppen statt dem Lift zu benutzen, koordinative Übungen in den Alltag einzubauen. Bringt ein bewegter Alltag auch sportlichen Menschen etwas? Wie weit würde man mit einem konsequent in den Alltag integrierten „Fitnesstraining“ kommen, wo liegen die Grenzen?
Laut Sportwissenschafter Kurt Steinbauer müsse man zunächst zweierlei auseinanderhalten: Bewegungsreize und Trainingsreize. Bei Bewegung im Sinne einer Gesundheitsförderung gilt tatsächlich: jeder Schritt zählt. Ein Trainingsreiz ziele dagegen auf eine Fitness-Verbesserung ab und er ist vom aktuellen Niveau abhängig. „Es geht darum, dem Körper eine Aufgabe zu stellen, die er meistern muss und an der er wächst“, erklärt Steinbauer. Ferner könne man zwischen Reizen fürs Herz-Kreislauf-System, für die Muskulatur und für die Koordination unterscheiden, sagt Steinbauer. Alle drei sind gesundheitsrelevant, jedoch durch unterschiedliche Mittel zu erreichen.
Auch nicht uninteressant sind die Parameter: Intensität und Dauer, mit denen sich ein Trainingsnutzen quantifizieren lässt. Studien hätten ergeben, dass Menschen, die tendenziell kürzer, aber intensiver trainieren, eine größere Lebenserwartung haben als solche, die sich mit geringer Intensität ausdauernd bewegen. Auch niedrigintensive ist gesundheitsrelevant, eine Erhöhung der Intensität wirkt sich also noch günstiger auf die Lebenserwartung aus.
Alltagswege per Muskelkraft
Angenommen, der tägliche Weg in die Arbeit wird konsequent zu Fuß oder mit dem Rad zurückgelegt. Wie lang müsste der Weg sein, wie flott müsste er zurückgelegt werden, um gesundheitlich davon zu profitieren? Und im Idealfall seine Fitness zu verbessern? 10.000 Schritte soll man täglich zurücklegen, kursiert als bekannte Empfehlung. Viele Activity Tracker funktionieren im Wesentlichen übers Schrittezählen. Kurt Steinbauer kennt die Studie, auf der die ominöse Zahl fußt: „Sie besagt, dass man mit dieser Schrittzahl mit hoher Wahrscheinlichkeit sein Körpergewicht hält.“
Bei 80 Zentimetern Schrittlänge bedeuten 10.000 Schritte rund acht zurückgelegte Kilometer. Ein Pensum, das täglich erreicht „auf jeden Fall gesundheitsrelevant ist“, wie Steinbauer versichert. Der Selbstversuch zeigt: An normalen Bürotagen ohne Sport sind es bloß 5000, 6000 Schritte. Lege ich meinen 6,4 Kilometer langen Arbeitsweg (hin und retour gemessen) zu Fuß statt mit Öffis zurück, komme ich locker über die ominöse Marke. Zeitverlust: bloß zehn Minuten pro Richtung.
Ist das auch Training oder „nur“ gesundheitsrelevant? Mit einem niederschwelligen Trainingsnutzen könne man ab 60 Prozent des Maximalpulses rechnen. Das bedeutet schon schnelles Gehen, nicht normales Gehtempo. Auch beim Radfahren muss man dafür schon ordentlich treten, und als „Trainingszeit“ zwischen daheim und Arbeitsplatz bleiben nur rund 15 Minuten übrig statt 40 beim Gehen. Was man noch bedenken muss: Wer täglich die gleiche Strecke mit gleicher Geschwindigkeit geht oder Rad fährt, werde zu Beginn zwar profitieren. Sobald der Körper daran gewöhnt ist, stagniert man aber. Nicht umsonst besagt das Trainingsprinzip der Varianz, dass ständig unterschiedliche und neue Reize gefragt sind.
Kräftigen und mobilisieren
Gehen und Radfahren ist aber nicht nur fürs Herz-Kreislauf-System gesundheitsrelevant, sondern vor allem auch fürs Muskelkorsett. Wobei Gehen vor allem für den heute so oft strapazierten Nacken sowie den Schultergürtel dem Radeln vorzuziehen wäre. Die Pendelbewegung der Arme lockert die Schulter-Nackenmuskulatur. Beim Radeln wird durch die vorgebeugte Haltung der Nacken eher weiter belastet. Stiegensteigen wiederum, fürs Herz-Kreislauf-System ein zu kurzer Reiz, kräftigt vor allem die Oberschenkel- und Gesäßmuskulatur. Besser ist es übrigens: zwei Stufen auf einmal nehmen.
Muskelschwächen, Dysblanancen und Verspannungen sind heute mindestens so verbreitete „Zivilisationskrankheiten“ wie Bluthochdruck. Auch da gilt: Einmal pro Stunde Aufstehen und ein kleines Stück gehen hilft schon – zumindest ein wenig. Doch auch, wer körperlich arbeitet, bewegt sich ziemlich sicher zu einseitig. Jede andere Bewegung, die im Alltag einen Ausgleich schafft, hilft, hat aber auch ihre Grenzen. „Ein gezieltes Kräftigungs- und Mobilisationstraining zweimal pro Woche ist für jeden zu empfehlen“, sagt Experte Steinbauer. Weil alle „nebenher“ gesetzten muskulären Reize nie alle wichtigen Muskelgruppen erreichen, Bewegungen in der Regel unvollständig ausgeführt werden, und fast immer einseitig sind. Auch (Ausdauer-)Sportler sollen schließlich gezielt kräftigen und mobilisieren.
Balancieren und Co.
Und dann gibt es noch die wichtige Koordination – da gilt wie bei den Muskeln: „Use it or lose it“. Gerade später einmal, im fortgeschrittenen Leben – zahlt es sich aus, die Koordination ein Leben lang gefordert zu haben. Stichwort: „Mobilbleiben“. Koordinations-Übungen hätten für eine Integration in den Alltag grundsätzlich den Vorteil, dass mit kurzem Zeiteinsatz große Wirkungen erzielt werden können: Wo immer es geht, balancieren, seitwärts und rückwärts gehen, das ist gut und immer und überall möglich.
Doch auch hier hat der „Alltagssport“ deutliche Grenzen: Koordinative Reize sollten möglichst vielfältig sein. „Auf einem Bein beim Zähneputzen zu stehen, kann man halt bald“, erklärt Steinbauer, und dann bleibe weiterer Nutzen aus. Außer, man entwickelt die Übung stetig weiter, schwenkt zum Beispiel das Bein dabei, setzt, wenn man das kann, den nächsten Reiz usw. Mit koordinativ fordernden Sportarten (Tanzen, Ballsport), wo sich die Variation ständig von selbst ergibt, ist das alles doch einfacher.
Mit dem Rad ins Firnessstudio
Bewegung im Alltag hilft also beim Gesundbleiben. Und auch dabei, uns zu „Bewegungsmenschen“ zu machen. Sprich: Man bekommt Lust, sich noch mehr zu bewegen, und verbraucht sogar ein paar Kalorien zusätzlich. Richtig „fit“ wird man allein damit jedoch nur begrenzt. Weil das Herz-Kreislauf-System sich erst gut entwickelt, wenn man ins Schwitzen kommt, und weil ohne unbekannte Reize keine Anpassung erfolgt. Weil wirkungsvolle Koordinationsübungen Abwechslung erfordern, und weil fürs Muskelkorsett auch noch so viel Alltagsbewegung insgesamt zu einseitig und zu wenig ist. Naheliegender Gedanke: Man kann ja auch mit dem Radl ins Fitnessstudio fahren.